Warum der Mensch ein Tragling ist

Evolutionsbiologisch sind unsere Babys immer noch an das Zeitalter der Jäger und Sammler angepasst, in denen größere Gruppen an Menschen häufig in Bewegung waren. Feste Behausungen mit sicheren Wänden gibt es in der Menschheitsgeschichte erst seit etwa 10.000 Jahren – das ist evolutionär gesehen eine sehr kurze Zeitspanne, vor allem im Vergleich zu den mindestens vier Millionen Jahren vorher, in denen die Menschen als Nomaden ohne feste Häuser lebten.

Und mit genau den angeborenen Instinkten und körperlichen Fähigkeiten aus dieser Zeit sind Babys bis heute ausgestattet.  Und in dieser Zeit wurden Babys getragen.

Warum das Menschenbaby ein Tragling ist

Menschenkinder gehören weder zu den Nesthockern (diese werden von den Eltern in einer Behausung zurückgelassen), noch zu den Nestflüchtern (sie können ab Geburt laufen), sondern zur besonderen Art der Traglinge. Dass dem so ist, belegt eine Reihe an anatomischen und verhaltenspsychologischen Aspekten:

  • Die meisten Babys weinen, wenn sie alleine abgelegt werden.
  • Babys sind ruhig, wenn sie in Bewegung sind.
  • Greifreflex an Händen und Füßen.
  • Selbständiges Einnehmen der Anhock-Spreiz-Haltung.
  • Orientierung der Hüfte nach außen.
  • runde Wirbelsäule
  • Weibliche Hüfte ideal für das Tragen.

Verhaltensbiologische Beweise: Tragen beruhigt Babys

Natürlich gibt es Ausnahmen, aber in den meisten Fällen weinen Babys, wenn sie abgelegt und alleine zurückgelassen werden. Vor allem in den ersten Lebensmonaten brauchen sie viel Körperkontakt, um ruhig und zufrieden schlafen zu können. Wenn sie in Bewegung sind sind so gut wie alle Babys ruhig und schlafen schnell ein. Für manche reicht allein die Simulation von Eltern in Bewegung, z.B. durch eine Wiege, Wippe oder der Kinderwagen, andere vertrauen  nur dem direkten Tragen am Körper.

Dieses Verhalten hat nichts mit bösem Willen oder Berechnung zu tun, es ist absolut normal und gesund. Denn in der Nomaden-Zeit hätte ein Abgelegt-Werden für einen Säugling den sicheren Tod bedeutet. Es ruft deshalb nach den Eltern oder anderen Bezugspersonen – zunächst leise und dann immer vehementer. Wenn niemand kommt, wird es letztendlich ganz ruhig und verfällt in eine Art Schock-Schlaf. Dieser Ruhezustand hätte vor 100.000 Jahren das Risiko minimiert, dass Raubtiere auf den Säugling aufmerksam werden, wenn die Eltern es nicht hören. Dass diverse Schlaf-Trainer so gut „funktionieren“, ist nicht zuletzt auf diese Tatsache zurückzuführen.

Physiologie des Säuglings: Angepasst ans Getragen-Werden

Dass unsere Babys an das Tragen angepasst sind, also Traglinge, zeigt sich auch an einigen angeborenen Reflexen. Der Greifreflex ist zum Beispiel in den ersten Lebenswochen noch sehr stark. Angeblich könnte man ein neugeborenes Baby an eine Wäscheleine hängen und es würde sich dort selbständig festhalten. (Schmidt, S. 160ff.) Mit der ersten Zeit verliert sich dieser Reflex, denn mittlerweile halten Menschenbabys sich nicht wie zu Zeiten der affenähnlichen Vorfahren im Fell der Mutter fest: ihr Platz ist jetzt auf der Hüfte der Mutter.

Dafür spricht nicht nur die Tatsache, dass Frauen eine sehr schmale Taille und eine breite Hüfte besitzen. Auch Babys nehmen ganz selbstverständlich die ideale Position ein, um getragen zu werden: Wenn man sie auf die Hüfte setzt, ziehen sie die Knie an, spreizen die Beinchen leicht auseinander und passen so perfekt auf die weibliche Hüfte. Viele Babys nehmen sogar im Liegen bereits diese Anhock-Spreiz-Haltung ein, sodass sie jederzeit bereit sind, in den Hüftsitz genommen zu werden. Das Hüftgelenk eines Säuglings ist dabei nicht für den Aufrechten Gang oder das Liegen nach vorne orientiert, sondern nach außen. Auch die gerundete Wirbelsäule eignet sich weder für den Aufrechten Gang, noch für das Dauerhafte liegen.

All diese Tatsachen belegen, dass der natürliche, als sicher empfundene Ort für ein Neugeborenes bei einem Erwachsenen auf dem Arm oder in einem Tragetuch ist – nicht im Kinderwagen, im Bettchen oder auf dem Boden. Je nach Temperament des Babys stehen sie dort unter großem Stress bis hin zur Todesangst. Eltern, die dieses grundlegende Bedürfnis von Kindern von Anfang an im Hinterkopf behalten, können viel besser verstehen, warum Babys so sind, wie sie sind.


Quellen:

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Evelin Kirkilionis bietet in ihrem Buch eine fundierte Grundlage für alle, die vertieftes Interesse an dem Thema Baby Tragen haben. Ohne Dogma oder das Schüren irgendwelcher Ängste klärt sie darüber auf, wie sich das Tragen auf Babys auswirkt und was dabei zu beachten ist.

 


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